Ich treffe Reiner um halb zehn am Abend im grosszügigen Aufenthaltsraum der Jugendherberge Saanen-Gstaad. Sein Tag als Reiseleiter einer Procap-Gruppe mit sechs psychisch beeinträchtigen Teilnehmenden ist zu Ende. Er habe gerade noch zwei Personen begleitet, entschuldigt er sich. «Ein langer Arbeitstag, aber ein guter Tag», sagt er lächelnd.
Seit 30 Jahren Helfer, Reiseleiter und Betreuer aus Hingabe
Seine Assistenz-Karriere gestartet hat Reiner für Menschen mit Autismus vor 30 Jahren zunächst bei Insieme, einem Verein, der sich ebenfalls stark für beeinträchtige Menschen einsetzt.
Nun schenkt er drei Wochen seiner Ferien pro Jahr der Begleitung von Procap-Gruppenreisen im In- und Ausland. Das nenne ich Leidenschaft! Warum macht Reiner das? Seine Antwort kommt sofort und mit einem zufriedenen Blick. Diese Reisen seien ein tolles Erlebnis, bei dem er nicht das Gefühl habe, zu arbeiten. Er ist sich natürlich der Verantwortung bewusst und nimmt diese auch sehr ernst. Für ihn ist es eine Abwechslung zum Berufsalltag mit anderen Kund*innen.
Die Motivation für diese herausfordernde Ferientätigkeit sieht Reiner in der Möglichkeit, den beeinträchtigten Gästen durch seine langjährige Erfahrung die Möglichkeit für Ferien zu geben, die sie sonst nicht erleben könnten. Keine Reiseleitenden und keine Begleitpersonen – würden bedeuten, dass es keine betreuten Procap Gruppenreisen gäbe.
Was muss eine Begleitperson für diese Tätigkeiten mitbringen?
Gut zu wissen ist, dass eine spezielle Ausbildung nicht zwingend ist. Gesunder Menschenverstand, Teamfähigkeit und das Herz am rechten Fleck sowie die Bereitschaft, sich auf diese Aufgabe und Menschen auf gleicher Augenhöhe einzulassen, reichen aus. Auch das Organisationsteam von Procap Reisen stimmt dem zu. Fazit: Zu unterstützen und den ein oder anderen freien Tag für diese sinnstiftende Tätigkeit einzusetzen, sollte doch für viele möglich sein.
Als Reiseleitung hingegen benötigt man Erfahrung in der Gruppenführung und idealerweise bringt man eine (sozial-)pädagogische oder gleichwertige Ausbildung mit.
Genügend Freiwillige aber irgendwie doch nicht
Im Jahr 2022 haben rund 330 Personen über 900 Procap Kund*innen in die betreuten Gruppenferien begleitet. Nicht nur Touren durch die Schweiz stehen auf dem Programm. Im neuen Katalog 2023 sind diverse Reisen im In- und Ausland geplant, zum Beispiel auch viele Badeferiendestionationen oder eine Flussfahrt durch Holland sind zu finden. Besonders über die Sommerferien ist es nicht immer einfach, genügend Personen zu finden, die einen Einsatz leisten möchten und können. Bis jetzt hat es glücklicherweise immer geklappt, dank den flexiblen und spontanen Freiwilligen.
Flexibilität und Ehrlichkeit ist gefragt
Diese Woche ist die Gruppe in der Jugendherberge Saanen-Gstaad, leider so ganz ohne Schnee. Kein Grund für die Gruppe, nicht den Spass im Alternativprogramm zu suchen. Die Reiseleitung, die den Begleitpersonen stets zur Seite steht, erarbeitet im Voraus bereits für diese Situation besondere Erlebnisse in der Region. So geht es beispielsweise für die Reisenden nach Montreux oder ins Hallenbad.
Und die nächste Reise?
Reiner strahlt sofort und antwortet: «hoffentlich geht es wieder ins Bike-Camp in die Jugendherberge Kreuzlingen!» Das habe er nun bereits mehrmals geleitet und es war stets eine ganz besondere Woche. «Letztes Jahr hat sich ein Pärchen gefunden», erzählt er lächelnd. Ob sie allerdings noch zusammen sind, weiss er nicht.
Der Interviewpartner an diesem Wintertag ohne Schnee im Berner Oberland ist Reiner Schwend, 55 Jahre, wohnhaft in der Ostschweiz, Teneriffa-Fan und leidenschaftlicher Reiseleiter, der für seine Gäste vieles möglich macht..
Community Frage:
Kannst du dir vorstellen, als Freiwillige*r eine Gruppenreise für beeinträchtigte Menschen zu begleiten? Erzähl uns davon in den Kommentaren!
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