Hindernisfrei – Hier werden Ferien für alle zugänglich

Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass sich alle Gäste bei uns wohlfühlen. Im folgenden Interview berichtet Kurt Schempp (Verantwortlicher für die Hindernisfreiheit bei den Jugendherbergen), wie die SJH die Inklusion fördern und welche Vorteile die ginto-App bringt.

Als Projektleiter bei den SJH ist Kurt Schempp eine Schlüsselfigur für die Hindernisfreiheit in den Jugendherbergen. Wir wollten von ihm wissen, worauf es beim Credo „hindernisfreie Ferien für alle“ wirklich ankommt.

Kurt, seit wann engagieren sich die SJH für Menschen mit Einschränkungen?

Die Inklusion aller Gesellschaftsschichten und Nationalitäten war für uns schon immer von zentraler Bedeutung. Wir haben dieses Engagement in unseren Statuten festgehalten. Das heisst vor allem auch: Wir sind in unserer Identität davon überzeugt.

In der heutigen Zeit machen Menschen mit einer Einschränkung einen immer grösseren Teil der Gesellschaft aus. Das kann eine ältere Person sein, die nicht mehr so gut zu Fuss unterwegs ist, eine Mutter mit Kinderwagen, ein Sportler mit Gips, eine Reisegruppe von Menschen mit geistiger Einschränkung oder ein Familienvater im Rollstuhl etc.

Weil wir alle diese Gäste optimal beherbergen möchten, beziehen wir die Hindernisfreiheit bei jedem Projekt bzw. Umbau schon während der Planungsphase mit ein.

Kannst Du die Hauptanliegen betreffend Hindernisfreiheit kurz vorstellen?

Wir wollen Barrieren aufheben, und zwar auf allen Ebenen, im Alltag und im Kopf.

Menschen mit Einschränkungen haben in den Ferien genau die gleichen Bedürfnisse wie andere Reisende. Sie möchten selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ihre Ferien geniessen und von touristischen Angeboten in der Umgebung profitieren. Genau dort sezten wir an.

Wir holen Menschen mit Einschränkungen bereits beim Buchungsverfahren ab, indem wir das nötige Know-How zur Anreise und zur Einrichtung der Jugendherberge auf der Hostelseite (oder telefonisch im Booking-Center +41 44 360 14 14) zur Verfügung stellen. Anders gesagt: Hindernisfreiheit beginnt bei uns nicht an der Schwelle des Betriebs, sondern viel früher.

Nach der Ankunft räumen wir zudem soziale Barrieren aus, indem wir den Austausch zwischen allen Gästen fördern und Informationen zu barrierefreien touristischen Events in der Destination bereitstellen.

Welche Jugendherbergen sind hindernisfrei?

Wir haben 33 hindernisfreie Jugendherbergen im Angebot, davon sind 25 Häuser als „geeignet hindernisfrei“ klassifiziert und 8 als „bedingt hindernisfrei“.

Geeignet hindernisfrei bedeutet, dass der Betrieb die Anforderungen an einen hindernisfreien Zugang in allen Bereichen gewährleistet – also von der Anreise über den Zutritt bis zu den Nasszellen. Diese Bereiche sind für Standardrollstuhl-Fahrer*innen ohne Hindernisse zu nutzen. Es kann jedoch vorkommen, dass einzelne öffentliche, untergeordnete Räume (z. B. Seminarraum, Dachterrasse) nur schwer zugänglich sind.

Die Klassifizierung bedingt geeignet hindernisfrei kann aus diversen Gründen geschehen. Dabei wägt man vor allem folgende Punkte ab:

• Einzelne Hindernisse, wie z.B. kleine Schwellen, die jedoch für viele Rollstuhlfahrerinnen gut zu bewältigen sind.
• Wichtige öffentliche Räume, die für Rollstuhlfahrer
innen nicht zugänglich sind.
• Keine Komfortmasse in den Zimmern.
• In allen Häusern mit dieser Klassifizierung ist mindestens eine, speziell für Menschen mit mobilen Einschränkungen, adaptierte Nasszelle (Dusche und WC) vorhanden.

Weitere Informationen sind auf unserer Website zu finden.

Einige Häuser verfügen über spezielle Infrastrukturen: Im Laax wellnessHostel3000 können sportliche Gäste zum Beispiel von einem Pool-Lift profitieren.

Das wellnessHostel3000 verfügt u.a. über 16 hindernisfreie Zimmer wie auch ein 25-Meter-Schwimmbecken mit Poollift ©Cornelia Vinzens

Welches Haus wurde zuletzt zu einem hindernisfreien Hostel umgebaut?

Mit unserem letzten Umbau konnten wir die Jugendherberge Rapperswil-Jona aufwerten (Wiedereröffnung am 30. April 2021). Die Unterkunft ist komplett hindernisfrei; es sind also keine Einschränkungen zu erwarten, sowohl im Innen- als auch im Aussenbereich. Auf der Hostelseite sind wichtige Details wie die Steigung der Rampe, der Bodenbelag des Gartensitzplatzes, Lift- und Türbreite, rollstuhlgerechter Parkplatz und vieles mehr verzeichnet.

Im Blogbeitrag Mehr Informationen zur Zugänglichkeit dank der OK:Go-Initiative erklärt dir Julia, warum sich eine Mutter mit Kinderwagen in der Jugendherberge Rapperswil-Jona sehr wohlfühlt und was das mit der OK:GO-Initiative zu tun hat.

Dank Rampe und genug breiten Türen ist der Zugang zur Jugendherberge Rapperswil-Jona auch mit dem Zwillingswagen ein Kinderspiel ©OK:GO

Der letzte Neubau wurde in Schaan-Vaduz realisiert (eröffnete am 23. April 2021). Hier sind sämtliche Zimmer hindernisfrei zugänglich, vom Parkplatz führt eine Rampe zum Eingang im Erdgeschoss und der Lift reicht vom Untergeschoss (Speisezimmer) bis zum Dachgeschoss (Seminarraum).

Das Restaurant der Jugendherberge Schaan-Vaduz bietet Gemütlichkeit und viel Platz ©Thomas Andenmatten

Wie auf allen Hostelseiten findest du auch hier wichtige Hinweise zur hindernisfreien Anreise mit ÖV, Auto oder Taxi – speziell auf dieses Hostel zugeschnitten, natürlich.

Welches sind die schwierigsten Herausforderungen für Menschen mit Einschränkungen in den Ferien? Und wie können die SJH diese Herausforderungen abdecken?

Die erste Herausforderung liegt beim Buchungsprozess. Viele Hotels sparen bei der Wissensvermittlung, was die Spontanität stark einschränkt – weil für einen barrierefreien Aufenthalt oft zeitaufwändige Recherchen nötig sind. Bei uns kannst du als Gast mit Einschränkungen alle wesentlichen Informationen auf der Hostelseite überblicken, bevor du eine Unterkunft buchst. Verschiedene Links zu Erlebnissen in der Umgebung findest du dort ebenfalls.

Ausserdem sind die wichtigsten Informationen auf unserer Webseite barrierefrei verfügbar (das heisst: für Menschen mit Sehschwäche zugänglich).

Spontaneität gleich Freiheit – dies macht eine transparente Kommunikation zum hindernisfreien Angebot möglich

Die nächste Herausforderung liegt beim Check-in. Da bei uns die Betriebsleiterinnen gut geschult und sehr erfahren sind, lässt sich vieles elegant umschiffen. Vielerorts haben wir besondere Check-in-Points, die tiefer liegen, damit eine Kommunikation auf Augenhöhe mit Rollstuhlfahrerinnen ganz natürlich zustande kommt.

Beim Check-in kann auch gut einmal auf einen niedrigeren Tisch ausgewichen werden ©Thomas Andenmatten

Und, nicht zu vergessen, der Kontakt mit anderen Gästeschichten. Bei uns ist alles bereit – unterfahrbare Tische erlauben ein geselliges Beisammensein am grossen Tisch und das Frühstücksbuffet ist hindernisfrei ausgerichtet. Auf diese Weise können sich alle Gäste ohne Hemmschwelle über gute Erlebnisse austauschen und der Horizont wird auf beiden Seiten erweitert.

Was die Anreise und die Ferienerlebnisse angeht, kommt hier ausserdem eine neue App ins Spiel, die aus der OK:Go-Initiative entstanden ist. Dank der ginto-App kannst du dich nun jederzeit, auch unterwegs, über mögliche Hindernisse und problemlose Zugänge informieren, die auf deinem Weg liegen. Wir sind aktuell dabei, unser Know-How auch dort verfügbar zu machen.

Was sind die Vorteile dieser ginto-App?

Diese App ist sehr wertvoll, weil sie urteilsfrei Informationen sammelt und positive sowie negative Punkte aufzeigt. Jede*r Reisende mit Einschränkungen bekommt also Zugang zu möglichen Hindernissen auf seinem persönlichen Weg – und auch zu Pfaden, Events oder Häusern, wo Hindernisfreiheit garantiert ist. So liegt auch mal ein spontaner Kaffeehalt drin, wenn dir danach ist.

Aber nicht nur Betriebe oder Tourismus-Anbieter können hier mitreden, sondern auch die User. Dein Input oder deine Erfahrung kann hier grossen Nutzen bringen.

Welche Visionen haben die SJH im Bereich Hindernisfreiheit?

Die Schweizer Jugendherbergen möchten durch aktive Wissensvermittlung die Interessen und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen und erfüllen. In diesem Bereich setzen wir uns schon jetzt klar von anderen Beherbergungsbetrieben ab, weil wir uns unserer sozialen Verantwortung vollends bewusst sind. Die Beteiligung an der ginto-App ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg und passt sehr gut zu unserer Vision.

Wir nehmen Gästefeedbacks immer sehr ernst und lassen sie sehr oft in Projekte einfliessen, um bei Renovationen und Neubauten noch gästefreundlicher zu werden.

Lieber Kurt, vielen Dank für dieses Gespräch!

Ein Interview mit Kurt

Portrait_Kurt_Schemp_SJH

Kurt, der für jeden Spass zu haben ist und immer einen guten Spruch bereit hält ©Kurt

Kurt Schempp ist Projektleiter bei den Schweizer Jugendherbergen. Sein Engagement fliesst in die Konzeption von Neubauten auf betrieblicher Seite und in die Gewährleistung der Hindernisfreiheit. In seiner Freizeit gilt seine Leidenschaft dem Kochlöffel und einem feinen Essen.

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